Was versteht man unter Achtsamkeit?
Du kennst vielleicht die folgende Situation: Im Beruf ist es gerade äußerst stressig. Deine To-Do-Liste kannst du kaum noch abarbeiten, sondern musst sie täglich erweitern und umstrukturieren. Freunde fragen schon lange nicht mehr nach ob du etwas unternehmen magst, da du ohnehin keine Zeit hast. Die Familie zu Hause kennt dich eigentlich nur noch vom Vorbeilaufen, grantig und mit gehetztem Blick. Der Alltag rauscht an dir vorüber und wenn du ehrlich bist, kannst du dich an keine Sekunde davon bewusst erinnern, auch nicht daran, wie du heute früh mit dem Auto zur Arbeit gefahren bist… Na? Erkennst du da einige Muster wieder? Findest du es lebenswert, oder nicht schon ein wenig fahrlässig, so zu leben?
Achtsamkeit kann zwar den Alltagsstress nicht auslöschen, aber durch situationsspezifische Übungen und Praktiken aus dem destruktiven Autopiloten heraushelfen. Achtsamkeit oder im Englischen als „Mindfulness-based Stress Reduction“ bezeichnete Methoden holen die Aufmerksamkeit in den Moment, und erlauben somit ein besseres Wahrnehmen und Fokussieren auf die Gegenwart, deine Körper- und Gemütszustände sowie Gefühle.
Dies ist keineswegs ein esoterischer oder naiver Ansatz. Man muss nicht an etwas bestimmtes glauben, sich wie beim Meditieren versenken oder die Augen vor der Realität verschließen und sie schönreden. Nein, vielmehr erlaubt Achtsamkeit, die Brille der (selbst)kritischen, wertenden, gehetzten Betrachtung abzunehmen und in einer Situation ganz präsent zu sein, sie wahrzunehmen wie sie ist, sie spüren und erleben zu dürfen und nicht im Kopf schon die nächsten To Dos deiner Liste abzuarbeiten.
Achtsamkeit erlaubt, die Brille der (selbst)kritischen, wertenden, gehetzten Betrachtung abzunehmen und in einer Situation ganz präsent zu sein.
Wie geht Achtsamkeitstraining?
Das Schöne daran: Achtsamkeit ist ohne großen Aufwand oder teure Tools trainierbar.
Es gibt eine Vielzahl an einfachen Übungen und Werkzeugen, um das Hier und Jetzt achtsamer zu erleben. Das gelingt manchmal schon mit ein paar bewussten Atemzügen, die man im Büro, unterwegs, sogar auf der Toilette nehmen kann, wenn das Hamsterrad durchzudrehen beginnt.
Es braucht aber ein Quäntchen an Übung und regelmäßiger Praxis, um tatsächlich in jeder Situation „den Schalter umlegen“ zu können. Sich etwa mit dem Lesen dieses Artikels mit dem Konzept vertraut zu machen und es zu verstehen reicht leider noch nicht aus um zu sagen: „Jetzt kann ich Achtsamkeit“. Zu Beginn empfiehlt sich die Teilnahme an Kursen oder Einzeltrainings, um mit professioneller Anleitung und in einem Setting außerhalb der Alltagswelt Zeit und Raum für das Achtsamkeitstraining zu schaffen. Wer noch keine Erfahrungen mit Meditation hat, kann unter Anleitung bestimmt auch besser von gezielten Methoden und individuell abgestimmten Techniken profitieren.
Hier sind ein paar Möglichkeiten und Anregungen:
- Eine Stresswelle schlägt über dir zusammen? Atme. Schließe die Augen und vertiefe deinen Atem. Spüre wie sich beim Atmen die Brust hebt und senkt, versuche tiefer in den Bauch zu atmen. Spürst du die Luft in deine Nase strömen? Kannst du noch ein bisschen langsamer atmen? Mach die Augen zu, atme für eine Minute weiter. Glückwunsch zu deiner ersten Achtsamkeitsübung.
- Egal wie du jetzt vor dem PC sitzt, richte dich jetzt gerade auf. Entspanne die Schultern, lass sie nach unten hängen. Stell beide Beine parallel auf den Boden. Atme einmal tief ein und wieder aus. Schön, dass du da bist.
- Mach Pausen. Wenn du schon lange vor dem PC sitzt, steh kurz auf, geh durch den Raum, schau aus dem Fenster. Bei jedem Gang auf die Toilette kannst du dich bewusst auf deine Atmung konzentrieren, das kostet dich nicht extra Zeit und fällt auch niemandem auf. Wenn du dich selbst daran erinnern möchtest, setze dir Erinnerungen oder klebe einen bunten Punkt an den Bildschirm, auf deine Uhr, wo auch immer du regelmäßig daran erinnert wirst: du bist JETZT!
- Mach langweilige, alltägliche Handlungen zu etwas Besonderem und Aufregendem. Bist du Rechtshänder und putzt dir die Zähne immer mit der rechten Hand? Probiers mal mit der linken. Dein Arbeitsweg ist immer der gleiche? Mach einen kleinen Umweg, schau ob es dort etwas Neues zu entdecken gibt, das du noch nie wahrgenommen hast. Lächle einem Fremden zu. Statt deinen Partner zu fragen, wie sein/ihr Tag war, frag doch mal: „Was ist das Schönste, das du heute erlebt hast?“ und stell dir dieselbe Frage.
- Mach dir Kleinigkeiten zur Abwechslung einmal ganz bewusst. Taste zum Beispiel deinen Kugelschreiber mit geschlossenen Augen ganz sorgfältig und langsam von allen Seiten ab und überlege, wie ein Alien dieses Ding beschreiben würde. Spüre die Oberfläche, die Temperatur, die unterschiedlichen Materialien,… Diese Übung mag absurd erscheinen, lässt uns aber wieder wie ein Kind über die Welt staunen und das Besondere im Kleinen finden.
- Hör dein Lieblingslied, in voller Länge, mit geschlossenen Augen. Hörst du Facetten, die du noch nie bewusst rausgehört hast? Was sagt dir der Liedtext, spricht er zu dir? Spüre was dieser Song mit deiner Stimmung macht.
- Achte auf deine Sprache. Ersetze „ich muss“ wann immer möglich und stimmig mit „ich will“ oder „ich darf“. Das ist nicht zynisch gemeint, immerhin müssen wir tatsächlich vieles – manche Dinge können wir aber durchaus selbst gestalten und entscheiden und diese Selbstbestimmung fühlt sich positiv formuliert doch viel besser an.
- Du stehst mit dem Auto an einer roten Ampel, bist ungeduldig, drehst am Radio herum oder blickst aufs Handy..? Lass dir doch nicht die Chance auf eine kleine achtsame Pause entgehen. Blicke stattdessen aus dem Fenster, nimm wahr wie die Fußgänger auf dem Zebrastreifen gekleidet sind. Laufen Kinder über die Straße und lachen dabei? Was könnte der Grund für ihre Erheiterung sein? Was tut dein Nebenmann im Auto, könnte er oder sie vielleicht ein Lächeln vertragen? Welche Gebäude befinden sich um dich herum, findest du daran etwas schön oder besonders? Es kann sein, dass hinter dir bereits gehupt wird, also fahr besser weiter. Aber achtsam.
- Nimm dein Essen bewusst zu dir. Vermeide Multitasking, sondern nimm dir die Zeit, bewusst langsam zu kauen, allen Geschmäckern nachzuspüren, zu genießen und zu merken, wann du satt bist.
- Fällt es dir schwer, abends zur Ruhe zu kommen, körperliche Anspannung loszuwerden und einzuschlafen? Versuche es mit progressiver Muskelentspannung nach Jacobson. Dabei nimmst du eine bequeme Haltung ein – das kann im Sitzen oder Liegen sein – und spannst jeden Muskel des Körpers für einige Sekunden gezielt an, um dann wieder lockerzulassen. Von den Füßen bis zur Stirn werden so alle Körperregionen angesteuert und entspannt. Nimm dir dafür soviel Zeit, wie du magst. Es gibt viele gesprochene Anleitungen dafür auf CD oder im Internet.
- Ein Bodyscan funktioniert ganz ähnlich wie die progressive Muskelentspannung, und mit noch weniger „Anstrengung“. Lenke deine Gedanken bewusst nacheinander in jede Stelle deines Körpers, von den Zehen über die Beine, die Hüfte, den Rücken, die Brust, Schultern, den Kopf und deine Sinnesorgane. Spüre nach, ob irgendwo eine Anspannung vorhanden ist, sich ein Körperteil anders anfühlt als sonst, juckt, zwickt etc. Spüre den Körper in seiner Gesamtheit, wie er Platz im Raum einnimmt und für dich funktioniert. Wenn das keine schöne Übung zur Selbstwahrnehmung ist?
- Versuche es mit Meditation und/oder Yoga.
- Mache weiterhin deinen Lieblingssport, nimm dir auch in stressigen Phasen dafür Zeit. Warst du bisher unsportlich, beginne mit Spaziergängen oder finde andere Aktivitäten, die dir Spaß machen.
- Führe ein Tagebuch oder Notizbuch. Plane fixe Zeiten ein, wann du in Ruhe auf den vergangenen Tag oder die vergangene Woche zurückblicken kannst und deinen Status quo festhalten kannst. Frage dich, wie du dich fühlst, wofür du dankbar bist, was gut oder weniger gut gelungen ist, was dir gerade wichtig ist oder besonders viel Energie und Aufmerksamkeit einnimmt. Das ist keine weitere To Do Liste, sondern eher eine Übung zum Innehalten und Loslassen des Vergangenen, auch um ins Bewusstsein zu holen was bereichernd, anregend, erfreulich ist und Spaß macht. „Aha, das denke ich also gerade“ kann eine schöne Erkenntnis sein.
Was bringt Achtsamkeitstraining?
Das Hier und Jetzt bewusst wahrzunehmen statt es nebenbei „ablaufen zu lassen“ bietet viele Vorteile. Das Prinzip dahinter: eine neutrale und entspannte, nicht-wertende Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Damit werden Ressourcen mobilisiert, die Konzentrationsfähigkeit verbessert, und eine schnellere und tiefere Erholung erreicht. Man kann mit Stresssituationen und Konflikten leichter umgehen, und nimmt die eigenen körperlichen oder geistigen Grenzen besser wahr. In gewisser Weise ist der achtsame Umgang mit sich selbst und der Umwelt ein bewusstes Hinhören statt Wegschauen. Dieser Ansatz fördert die Gesundheit und die Lebensqualität. Achtsamkeitstechniken werden auch unterstützend zur Behandlung von Belastungszuständen, Burnout oder Depressionen eingesetzt. Wie schon erwähnt: Achtsamkeit ändert nicht deine Lebensumstände, aber deinen Umgang damit. Innere Getriebenheit und negative Gedanken werden erkannt, zur Kenntnis genommen und dürfen weiterziehen. Du selbst entscheidest, wohin du die Aufmerksamkeit lenkst. Das ist ein wichtiger Schritt zu mehr Glück, Gelassenheit und Selbstbestimmung.
Weiterführende Informationen








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